Von Mönch zu Maschine: Was wir über Suchen gelernt haben

Von Mönch zu Maschine: Was wir über Suchen gelernt haben

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Updated:
13.5.24
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Von Mönch zu Maschine: Was wir über Suchen gelernt haben

Manche Aufgaben wecken sofort Begeisterung: Ein spannendes Problem! Eine neue Technologie! Ein tolles Team! Und dann gibt es Aufgaben, denen begegnet man zuerst mit einem Schulterzucken – nur um dann festzustellen, dass die größten Lernchance von allen bieten: Eigene Grundannahmen in Frage stellen.

Vor einiger Zeit wurden wir mit so einer Aufgabe konfrontiert: Der Verbesserung einer Suchfunktion auf der Selbsthilfe-Website eines großen Unternehmens.

Suche – das ist doch ein gelöstes Problem! Lohnt es sich, hier überhaupt in die tiefe zu gehen? Einen Artikel zu schrieben? Ich denke schon. Nicht zuletzt, da es ein Problem ist, mit dem sich Menschen schon seit langer Zeit herumschlagen – und bei dem wir erneut vor einem Paradigmenwechsel stehen.

Grundannahmen in Frage stellen: Suche im Wandel

Mit jedem neuen Kommunikationsmittel in unserm Arsenal – von den ersten gesprochenen, dann in Stein und Ton gemeißelten und später auf Papier geschriebenen Worten über den Massendruck bis hin zum digitalen Zeitalter der grenzenlosen Texterzeugung – haben wir immer wieder verändert, wie wir suchen (und auch:  was wir wissen wollen!).

Stellen Sie sich eine Art frühen Wissensarbeiter vor: einen Mönch aus dem zwölften Jahrhundert. Für ihn war die Informationsbeschaffung völlig anders als für die Menschen im viktorianischen Zeitalter – und vor allem anders als für uns heute. Während wir große Teile unseres Gedächtnisses an Computer ausgelagert haben und uns auf Suchfunktionen mit komplizierten Algorithmen verlassen, um die für uns relevanten Informationen abzurufen, hatte der Mönch hauptsächlich einen Ort zum Suchen: Sein Gedächtnis.

Sicher, Klöster waren bekanntlich die intellektuellen Zentren des Mittelalters und beherbergten viele Bibliotheken, aber wie Ivan Illich in seinem Buch "Im Weinberg des Textes" beschreibt, fehlten noch einige Schlüsselinnovationen, die die Suche nach und das Abrufen von Wissen aus Büchern erleichtern würden: Seitenzahlen, Kapitelüberschriften und Inhaltsverzeichnisse mussten erst erfunden werden. Und erst der Buchdruck machte es möglich, Bücher, Aufsätze und Flugschriften in einer so großen Menge zu drucken, dass man Texte sinnvoll miteinander vergleichen konnte.

Die Suche war lange Zeit in erster Linie eine mentale Technik: eine in hartem Training erworbene Fähigkeit, auf die eigene Gedächtnis-Bibliothek zuzugreifen und Gehörtes zu rezitieren (*gehört* ist hier der korrekte Begriff, auch wenn es sich um geschriebenen Text handelt, da Bücher als „Aufnahmen“ von Sprache betrachtet wurden - sehr verwurzelt in einer Welt, in der das gesprochene Wort als Medium dominierte).

Diese Fähigkeit ist etwas, dass heute die wenigsten Menschen bewusst trainieren. Warum auch? Bei unseren schnellen Wegen, mit denen wir an Informationen kommen, spielt das Erinnern der Informationen an sich keine so starke Rolle mehr.

Dennoch ist es richtig, dass Informationen für uns Menschen eine zentrale Rolle spielen! Ja, wir sind geradezu informationshungrig – ganz unabhängig vom Zeitalter, in dem wir geboren werden, oder dem Medium, das unsere Informationsvermittlung dominiert. Der Psychologe George Miller hat unsere Spezies nicht umsonst als "Informavoren" bezeichnet!

Aber die Art und Weise, wie wir nach diesen Informationen suchen, hat sich verändert, wie das obige Beispiel hoffentlich ein wenig verdeutlicht. Und ich glaube, dass es sich heute wieder ändert, was eine Überprüfung der Grundlagen umso wichtiger macht.

Der Status Quo der Suche

Wie suchen Sie heute nach Informationen? Man googelt einfach, oder? Die prominente Suchleiste, die uns auffordert, eine beliebige Anfrage einzugeben, und die Liste der Links, die sie als Ergebnis ausgibt, sind seit langem ein grundlegendes Merkmal des Internets.

Die Interaktion mit dieser Suchleiste ist Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher und kommerzieller Untersuchungen. Aus der psychologischen Forschung wissen wir zum Beispiel, dass es am besten ist, Informationen in verschiedenen "kognitiven Stilen" zu präsentieren. Manche Nutzer:innen bevorzugen visuelle Informationen, während andere sich auf Text konzentrieren; manche Menschen brauchen ihre Informationen strukturiert, während andere mit einer eher unscharfen Darstellung zurechtkommen (siehe Information seeking on the web: Effects of user and task variables und Cognitive styles in the context of modern psychology: towards an integrated framework of cognitive style für weitere Details). Aus diesem Grund sehen Sie in den Google-Ergebnissen heutzutage nicht nur die berühmten "zehn blauen Links", sondern auch viele Bilder und Videos sowie einen Kasten mit strukturierten Schlüsselinformationen auf der rechten Seite.

Wir wissen auch, dass wir das Fachwissen der Nutzer:innen berücksichtigen müssen. Einige Nutzer:innen sind technisch versiert und können problemlos mit Suchoperatoren umgehen. Andere sind vielleicht keine technischen Expert:innen, wissen aber viel über das Thema, das sie recherchieren wollen. Das Sucherlebnis sollte es leicht machen, in beiden Dimensionen zu glänzen: Technisches Verständnis für die Funktionsweise der Suche und die Beherrschung eines Themas (siehe Orienteering in an Information Landscape: How Information Seekers Get From Here to There). Aus diesem Grund sehen Sie Hinweise zur Verwendung spezieller Suchoperatoren, wenn Sie zum Beispiel auf Stack Overflow in die Suchleiste klicken. Sie erhöhen die Lernfähigkeit des Systems und ermöglichen es jedem, eine technische Suchexpert:in zu werden.

Wir wissen auch, dass es unterschiedliche Motivationen gibt, warum wir suchen und dass wir dies in der Sucherfahrung berücksichtigen müssen. Es kann sein, dass Nutzer:innen einfach nur Informationen nachschlagen und ein Ergebnis abrufen möchten. Das ist der Grund, warum wir in unseren Google-Ergebnissen nun häufig sofort ein Ergebnis oberhalb der Links sehen.

Ein anderes Mal suchen wir jedoch, weil wir etwas Neues lernen und tiefer in ein bestimmtes Thema eintauchen wollen. Hier reicht es nicht aus, nur eine Antwort zu geben – vielmehr geht es darum, die Ergebnisse so zu strukturieren, dass verschiedene wichtige Einstiegspunkte zum Thema gegeben sind. Ein Blick auf das obige Bild macht dies deutlich: Wenn wir noch mehr über Beethoven wissen wollten, hätten wir eine Fülle von Einstiegspunkten: Eine Zusammenfassung, Eckdaten seines Lebens, seine Familie, Werke über ihn, verwandte Fragen von anderen Nutzer:innen und natürlich die Liste der am höchsten bewerteten Einträge zu diesem Thema. Eine Fundgrube für jemanden, der in ein Thema tief eintauchen will (mehr zu den Zielen der Suche "Nachschlagen, Lernen, Erforschen" finden Sie hier: Designing the Search Experience).

Die Motivation der Nutzer:innen herauszufinden ist nicht trivial, aber auch hier werden wir immer besser. Durch Machine Learning sind wir jetzt in der Lage, zwischen verschiedenen Absichten zu unterscheiden - wenn Sie z. B. nach einem Angebot zum Kauf eines bestimmten Films suchen, können wir Ihnen sofort Ergebnisse von passenden Shops im Internet anzeigen.

Wenn das alles den Eindruck erweckt, dass wir die Suche in digitalen Produkten im Griff haben, dann würden ich sagen: Ja und nein. Ich glaube, dass wir über gute “Best Practices“ und Forschungsergebnisse verfügen, wie die Suche aktuell funktioniert. Aber wie eingangs angedeutet, stehen wir an der Schwelle zur nächsten großen Veränderung.

Die Suche der Zukunft

In einem anderen Artikel haben wir erörtert, wie KI-Agenten die Arbeit eines Designers in den verschiedenen Phasen des Prozesses unterstützen können.

Eine Idee, die wir hatten, war, dass wir die Software während der Recherchephase anweisen könnten, alle relevanten Informationen zum Kernproblem des Projekts zu suchen, zu sammeln und zusammenzufassen.

Für Nutzer:innen wird die Herausforderung der Suche der Zukunft vielleicht eher darin bestehen, ein gutes Briefing für den KI-Agenten zu schreiben.

Für uns Designer:innen besteht die Herausforderung dann darin, dafür zu sorgen, dass die KI alle Informationen erhält, die sie zur erfolgreichen Erfüllung ihrer Aufgabe benötigt, und herauszufinden, wie die Ergebnisse am besten präsentiert werden können (vielleicht wäre ein "President's Morning Briefing" ein gutes Format, um damit zu beginnen?)

Die nächste Frage ist, wie wir mit einem KI-Agenten umgehen würden, der pro-aktiv und vorausschauend Suchergebnisse liefert - also bevor wir überhaupt formuliert haben, was uns interessiert! Auf der Grundlage der Historie unseres Verhaltens und unserer Interessen, der Mails und Nachrichten, die wir von der Arbeit erhalten, und der Gespräche, die wir führen, könnte die KI Ergebnisse vorbereiten, bevor wir überhaupt wissen, dass wir sie brauchen. Die Bewältigung der damit verbundenen Herausforderungen in Bezug auf den Datenschutz und die Rechte der Nutzer:innen wird eine große Aufgabe sein, aber ich bin sicher, dass wir uns eher früher als später damit befassen werden.

Was immer auch die nächste Entwicklung in unserer Suche nach Informationen bringt: Es wird sich auch dann lohnen, gelerntes zu hinterfragen und neue „Best Practices“ zu schaffen.